Die Landlosenbewegung Brasiliens MST stellt laut Milo Rau mit einer Philosophie des fröhlichen Kampfs und des Lebens im Kollektiv, mit ihren Schulen, Kooperativen, Kongressen, Theaterstücken, Besetzungen, mit ihren Feldern und Feiern viel mehr als eine soziale Bewegung dar. Und da bin ich wieder bei den großteils unsichtbaren Bewegungen für ein gutes Leben für alle in Deutschland, die ich genauso vielfältig und divers wahrnehmen. Die MST ist so unbekannt wie alternative Wirtschaftsansätze in Deutschland.
Anders wirtschaften hat mehrere Namen: u.a. gemeinwohlorientiert, solidarisch, kooperativ, alternativ. Drei Eigenschaftsworte sind deshalb notwendig, weil die Begriffe der letzten 100 Jahre sich ablösten, heute zum Teil synonym verwendet werden und es immer neue Begrifflichkeiten in der Theorie gibt (so mutierte die Assoziative Ökonomie nach R. Steiner zur Ökonomie der Zusammenarbeit). Auch zählen sich Aktive und Denker:innen je nachdem zu der einen oder anderen Begrifflichkeit. Zudem sind nicht alle eine „andere“ Wirtschaftsform.
Manche behalten weitgehend den Eigentumsgedanken und den Wachstumszwang des Kapitalismus bei. Doch darüber hinaus gehen eine Vielzahl von Impulsen Alternativer Wirtschaftsformen. Daraus sieht man eine Vielfalt von Modellen und Initiativen.
Auf dem bundesweiten Kollektive-Netzwerktreffen in 2024 von 56 selbstverwalteten Betrieben, Projekten und Initiativen machten sich jüngst 100 Menschen auf den Weg, sich nun verbandsmäßig als überregionales deutschlandweites Kollektiv zu organisieren…. „Keine Chefs, kein Privateigentum, kein Kapitalismus – das Kollektiv der Kollektive ist ein Zusammenschluss von Kollektivbetrieben.
Dies sind Wirtschaftsbetriebe, die sich basisdemokratisch-selbstverwalteten und sich im Besitz ihrer Belegschaften befinden. Wir sind ein selbstverwalteter und – organisierter Verband. Er lebt durch das Engagement seiner Mitglieder. Dem Engagement der Mitglieder wird im Rahmen der gemeinsamen Vereinbarungen größtmögliche Freiheit und (gegenseitige) Unterstützung gegeben. Wir verzichten auf formale Hierarchien.
Alle Mitglieder bekennen sich zu den Prinzipien basisdemokratischer Selbstverwaltung, basierend auf Solidarität, Vertrauen und Inklusion, sowie zu einer ökologisch nachhaltigen, bedarfsorientierten Wirtschaftsweise.
Wir pflegen einen gleichberechtigten, respektvollen und von Kooperation geprägten Umgang miteinander, sowie mit Kund:innen und Geschäftspartner:innen an, sowohl im betrieblichen Umfeld als auch im Verband. Wir verstehen uns dabei als Teil einer globalen Bewegung gegen Herrschaft und Kapitalismus.“
Und damit sind auch schon einige der Prinzipien alternativen Wirtschaftens genannt:
- bedarfsorientiertes Wirtschaften
- Selbstorganisation
- gemeinschaftliches Eigentum
- ökologisch und gemeinwohlorientiert.
Um ein paar Betriebe und Projekte aufzuzählen, seien erwähnt: SOLAWIs, die GLS Bank, das Mietshäusersyndikat, wikipedia, Mitgliederläden und -supermärkte, Repaircafes, Tauschbörsen, Leihladen, Regionalwährungen und viel mehr. Eine Vielzahl von Ansätzen finden wir, wenn wir nur die Augen auf diese lenken. Als da wären neue und alte Genossenschaften in den Bereichen Energie,
Wohnen, Regionalentwicklung, Kultur und Banken. Wobei es hier nicht um den „richtigen“ Ansatz geht, sondern um des Suchens, des Versuchens und Ausprobierens aus dem Wissen, das unser kapitalistischen System unsere Lebensgrundlaagen letztlich zerstören wird.
Es gibt einige von Arbeiter:innen besetzte Betriebe z.B. in Griechenland, Italien und Frankreich. Vio.Me in Griechenland ist eine besetzte, selbstverwaltete Fabrik in Thessaloniki. Die Arbeiter:innen dort stellen ökologische und vegane Reinigungsprodukte her (Seifen, Spülmittel und weitere Reiniger). Der Unilever-Konzern wollte seinen Betrieb im südfranzösischen Gémenos dichtmachen. Das ließen sich die Arbeiter nicht gefallen und besetzten 1336 Tage lang ihre Fabrik. Am Ende übernahmen sie den Betrieb. Jetzt machen sie als Arbeiterkooperative ihren eigenen Tee, der nun „1336“ heißt. 350 Angestellte eines Autozulieferers haben ihre Fabrik eine halbe Stunde Autofahrt von Florenz entfernt in Campi Bisenzio besetzt. Sie fordern, den Standort für klimafreundliche Produktion umzunutzen.
Im Einzugsgebiet der Welle sind die Impulse kleiner, aber doch vorhanden. Der Eulenspiegel verhindert Privatbesitz in Form eines Vereinseigentums. Die Nutzer des Hauses verwalten das Haus selbst. Die Stiftung Edith-Maryon hat drei Häuser in unserer Region, die ähnlich strukturiert sind. Unter dem Dach der Genossenschaft Öko.See.Dorf finden wir mehrere Wohn-Projekte. Die solidarischen Landwirtschaften (Solawi) sind auf der deutschen Seeseite weit verbreitet.
Dann gibt es noch Sonett mit Sitz im Deggenhausertal. Sonett beschäftigt derzeit 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Unternehmen wird partnerschaftlich geführt und die Kapitalanteile wurden der gemeinnützigen
Stiftung Sonett übertragen. Die beteiligten Menschen
treffen sich, vernetzen sich, tauschen sich aus und feiern ihre Initiativen. Auf Kongressen, Fortbildungen und Festivals …. wie in Brasilien.
Der Platz ist zu klein um die Bandbreite vorzustellen, deshalb hier meine Favoriten, Netzwerke und Beispiele, mit ihren Internetadressen zum weitersuchen.
Kollektiv der Kollektive: https://www.kdk.coop
Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften CSX: www.gemeinschaftsgetragen.de
Commonism – Commons und Commoning: https://commons-institut.org/
Kollektivbetriebe: https://www.kollektiv-betriebe.org/
Netzwerk Ökonomischer Wandel NÖW: https://netzwerk-oekonomischer-wandel.org/
contraste Zeitschrift für Selbstverwaltung: https://www.contraste.org/
Bundeskooperation der kooperativen Wirtschaftens: https://www.teilgabe.net
Viel Spaß beim Entdecken!
Dieter Koschek
veröffentlicht in Welle 111