Der November 2024 hat uns alle mal wieder in die weltweite Realität geholt. Trump hat die amerikanischen Wahlen gewonnen. Damit reiht sich die USA in die Reihe der autokratisch regierten Weltmächte ein und in Deutschland hat Scholz die Ampel beendet, indem er Finanzminister Lindner entlassen hat. Somit steht auch bei uns eine große Koalition im Raum. Mal sehen. Die politische Großwetterlage ist verändert und das hat Folgen für viele.
Nicht nur die Klimawende ist nicht mehr auf der Tagesordnung. Die Flüchtlinge werden weiterhin als Schuldige (für alles!) gehandelt und verfolgt und abgeschoben. Kreuzfahrtschiffsbaukonzerne und Verbrennerbauer müssen gerettet werden. Was noch alles kommen wird, ist bereits benannt worden. Unsere Renten sollen an den Aktienmärkten finanziert werden, bei Bürgergeldempfängern und den ukrainischen Flüchtlingen sollen Milliarden eingespart werden (Lindner), die Autobahnen sollen ausgebaut werden, damit die bestehenden Tempolimits aufgehoben werden können (Junge Union) und wir brauchen wieder eine starke wirtschaftsfreundliche Regierung (Wirtschaftsverbände), die CDU will wieder AKWs bauen, (Energieplan CDU).
Was wirklich kommen wird, ist erstmal offen. Der Durchmarsch des neoliberalen Kapitalismus scheint nicht gebremst worden zu sein. Da diskutieren die USA und die EU über Zölle für chinesische Autos, damit die überteuerten Modelle weiterhin Gewinne bringen, der „Wirtschaftsnobelpreis“ ging dieses Jahr an Ökonomen, die einen „starken, demokratischen Staat“ für nötig erachten für Wachstum und Wohlstand. Das passt sehr gut zu dem Geschrei von Vertretern von Wirtschaftsverbänden, die der Ampel-Regierung Schwäche und Unsicherheiten vorwarfen (um sie zu stürzen). Doch so klingen die Neoliberalen eigentlich nicht. In den USA schaue ich gespannt auf die kommenden Steuererleichterungen für Konzerne und Superreiche.
Inzwischen machen die mächtigen westlichen Konzerne (Alphabet-Google, Apple, Meta-Facebook, Microsoft, Amazon) Politik. Microsoft will für seine Rechenzentren Atomkraftwerke bauen lassen, Amazon kauft Zeitungen, Musk will auf den Mars und alle zusammen bauen ihre Marktmacht (zusammen mit den Banken) fast völlig unkontrolliert aus. Die alten Öl-, Gas- und Kohlekonzerne investieren weltweit weiter in ihre Weltuntergangsindustrien. Und die Ausgaben für Rüstung steigen weltweit an. Doch diese Analyse ist gar nicht allein das Düsterste, wie man die Kurzform lesen kann. Es war eigentlich seit 100 Jahren immer ähnlich. Was dieses Jahr anders ist, dass unser „Hoffnungsträger“ , die grüne Partei, ein weiteres Mal enttäuscht hat. Die jugendliche Massenbewegung „Fridays for Future“ hat ihre Schlagkraft verloren und der weltweite Rollback gegen Klimaschutzmaßnahmen nimmt Fahrt auf. Die Zivilgesellschaft formuliert „Hoffnung“ und Durchhalteparolen.
Die Beispiele der Hybris sind überwältigend und können leicht zu Depression und individuellem Rückzug führen. Und doch ist es wichtig, diese Grausamkeiten wahrzunehmen. Denn nur dann haben wir eine Chance, heil weiterleben zu können. Im Rundgespräch im November haben wir drei Gedanken gefunden, die helfen können, die Hybris des Wachstums- und Reichtumswahns einzuschränken.
„Es kann mir nicht gut gehen, wenn es anderen Menschen schlecht geht.“ Das ist jetzt kein Aufruf sich weltweit gegen den Wahn zu engagieren, sondern im überschaubaren Umfeld in diesem Sinne zu handeln, also in dem Freundeskreis, der Nachbarschaft, Familie, Kommune. Ich verschließe mich nicht dem Hilferuf eines anderen Menschen, sondern versuche zu helfen.
„Versuche das Geistige (Göttliche) in jedem Menschen zu sehen.“ Hier ist nicht gemeint, den Aggressor oder Menschenverachtende zu verstehen und ihn zu erhöhen, sondern schlicht in ihm auch einen Menschen zu sehen, ihn nicht zu verachten und „menschlich“ zu bleiben.
„Versuche das Geistige in der Umwelt (Tiere und Natur) zu sehen.“ Wenn ich die Verbundenheit mit den anderen Wesen und dem Planeten erkenne, dann engagiere ich mich gegen das, was diese Verbundenheit zerstören oder verhindern will. Auch hier ist nicht unbedingt nur mein Engagement in globalen Naturschutzorganisationen gemeint, sondern auch kleinste Gegebenheiten, wie das Bewundern von Bäumen oder Landschaften, der Begeisterung über die Farben der Vögel und ähnliches. Worauf es ankommt, ist, diese Gedanken zu verstetigen, in sich selbst und in Gemeinschaft mit anderen.
Langsamer, tiefergehender und kleiner seien meine Wünsche in dieser Welt. Nicht „größer, schneller und weiter“, das leicht abgeänderte Motto der olympischen Spiele (heute ein weiteres Beispiel der menschlichen Hybris), sondern „das menschliche Maß“ und der „gesunde Hausverstand“ können die Denk- und Richtlinien eines „neuen“ Humanismus sein.
Wir im ‚jedermensch‘ berichten und kommentieren ja seit Anfang an Wege zu einer Gesellschaftsform, die
die Entwicklung des Individuums als soziales Wesen, die Bildung von Gemeinschaften auf Augenhöhe und
die Verbundenheit des Menschen mit dem Kosmos aufzeigen. Und das seit über 60 Jahren.
Dieter Koschek
veöffentlicht in jedermensch Nr. 713