Was rätsle ich über die Aussage, dass etwas aus der Zukunft auf uns zukommen kann. Was frage ich moderne Kunst nach ihren Aussagen über die Zukunft. Was liegt in der Luft und wird eines Tages Realität werden?
Zukunftsimpulse sind oft so klein, dass wir sie gar nicht sehen – oder wenn doch, ihnen keine Bedeutung geben. Doch die Geschichte ist voll von kleinen und kleinsten Initiativen, die für unsere Gegenwart von großer Bedeutung sind. Erinnert sei an die Abschaffung der Sklaverei und die Gleichstellung der Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen. Beides fing in kleinen Kreisen an und sind heute Werte für die gesamte Welt.
Ein Beispiel aus unserer Zeit sind die Reparaturwerkstätten. Davon gibt es am Bodensee ein paar Dutzend, von Rentner*n und Freiwilligen betrieben werden vielleicht einmal im Monat kleinteilige Geräte repariert. Das erscheint klein, aber der Gedanke ist ein widerspenstiger im heutigen Kapitalismus. Was in früheren Zeiten ein normale Vorgang war, gilt heute als Zukünftig. Und das ist es.
So hat die EU sich auf ein Recht auf Reparatur geeinigt. Der Text ist noch in Arbeit und soll sich auch nur auf neue Produkte aus neun Produktgruppen beziehen. Aber immerhin.
Katrin Meyer vom Runder Tisch Reparatur meint dazu in einem Taz-Interview vom 9.2.24: „Momentan ist eine Reparatur häufig eine aufwendigere und teurere Lösung als ein Neukauf. Das muss und soll sich ändern: Reparieren soll günstiger und einfacher sein und damit zum Standard werden. Und zwar ganz egal, ob sich das Gerät noch innerhalb des Gewährleistungszeitraums befindet, in dem ich als Verbraucherin ohnehin einen Anspruch auf Reparatur oder Neulieferung habe, oder danach.
Zum Beispiel müssen Hersteller für alle Geräte, die diese Richtlinie umfassen, ein Reparaturangebot machen müssen – auch dann, wenn die Gewährleistung schon abgelaufen ist. Gleichzeitig müssen die Hersteller ihre Ersatzteile auch unabhängigen Werkstätten zur Verfügung stellen, und zwar zu „angemessenen Preisen“. Das ist tatsächlich ein ganz großer Fortschritt.“
Auf der website https://www.repaircafe.org/de/besuchen/ findet ihr über 3000 Adressen von Repair-Cafés weltweit. Ein starken Zeichen für die Zukunft.
Ein weiteres starken Zeichen ist die Solidarische Landwirtschaft (SOLAWI). Erzeugende und Verbrauchende bilden eine Wirtschaftsgemeinschaft, welche auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmt ist und die Mitwelt, Natur und Tiere berücksichtigt.
Auf Grundlage der geschätzten Jahreskosten der landwirtschaftlichen Erzeugung verpflichtet sich diese Gruppe, jährlich im Voraus einen festgesetzten (meist monatlichen) Betrag an den Solawi-Betrieb zu zahlen. Hierdurch wird dem:der Erzeuger*in ermöglicht, sich unabhängig von Marktzwängen einer guten landwirtschaftlichen Praxis zu widmen, den Boden fruchtbar zu erhalten und bedarfsorientiert zu wirtschaften.
Die Webseite https://www.solidarische-landwirtschaft.org listet deutschlandweit über 450 Gemeinschaften auf. Auch am Bodensee gibt es einige Beispiele. Diese gestalten sich vielfältig und unterschiedlich – aber allein die Gedanken des gemeinsamen Wirtschaften und der Bedarfsorientierung sind so alt wie das Reparieren, und genauso – zukunftsweisend. Einige Betriebe gehen sogar ins gemeinsame Eigentum über.
Die SOLAWIs sind Beispiele dafür, wie eine kleinbäuerliche Landwirtschaft sich in Zukunft neu aufstellen kann. Nicht marktorientiert, sondern bedürfnisorientiert und auf Kooperation basierend.
Auch mein drittes Beispiel ist uralt: die Allmende oder im heutigen Sprachgebrauch, die Commons.
Frägt man heute Menschen nach Commons, dann fällt manchen nur die sogenannte „Tragik der Allmende“ ein. Sie geht davon aus, dass bei frei zugänglichen Gütern die Nutzer dazu tendieren, diese zu übernutzen und somit zu zerstören. Dies geschehe, weil Menschen darauf aus sind, ihre Erträge zu maximieren. Diese Tragödie wurde vom Autor 30 Jahre selbst später eingeschränkt auf Land, das niemand nutzt.
Die Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom erhielt 2009 den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Arbeit zu Commons, was schon allein ein Umdenken andeutet. Mit zahlreichen Wissenschaftlern in ihrem Umfeld verglich sie Feldstudien zu gemeinschaftlichem Management in aller Welt, etwa von Bewässerungssystemen in Spanien, Nepal und Indonesien, Weideland in den Schweizer Alpen, Ackerland in Japan, Fischbeständen in Kanada oder Gemeindewäldern in Bolivien und Mexiko. Als Resümee ihrer Forschung erarbeitete Ostrom Prinzipien für erfolgreiche Lösungen von lokalen Allmendeproblemen. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Commons
In der heutigen Zeit finden wir Commons vor allem im Digitalen (freie Software, Plattformen, Netzwerke gemeinschaftlichen Wirtschaftens, u,ä.), aber es gibt auch junge Menschen, die die Ideen umsetzen. So ist die „Fuchsmühle“ in Hessen ein Vorbild für viele andere Initiativen. Der „Karlshof“ in Brandenburg war ein Impuls des gemeinsamen Anbauens und Verteilens von Kartoffeln ohne Geld. Dabei gilt Privateigentum als überholt, sondern beziehungsgemäßes Nutzen wird als neue Eigentumsform gebildet, der kapitalistische Markt des Tauschen wird durch freies Beitragen ersetzt und Herrschaftsformen werden durch Selbstorganisation minimiert. Ziel ist eine freie, gleichberechtige und gemeinschaftliche Gesellschaft.
Was in früheren Zeiten „normale“ Tätigkeiten und Fähigkeiten waren, wird heute, am Ende des Kapitalismus wieder als bewußte Impulse für eine Zukunft über den Kapitalismus hinaus erkannt.
Dieter Koschek
veröffentlicht in die welle 110