„Wir schenken euch eine Wiese.“ Mit diesen Worten meldete sich Hanns Hoffmann-Lederer (HHL) auf einen Aufruf von Peter Schilinski Ende der 60er Jahre für die Errichtung eines Zentrums für Dreigliederung. Die Wiese lag in Esseratsweiler, wo HHL inzwischen wohnte, war unbebaubar und doch der Start für das Internationale Kulturzentrum Achberg (INKA) und den vielfältigen Aktivitäten, die davon ausgingen.
Der Titel „Wissendes Gestalten“ machte mich gleich neugierig, als ich die Ankündigung im Newsletter von Rainer Rappmann las. Und es ist nicht verwunderlich, dass das Buch auf meinen Redaktionsschreibtisch trudelte. „Wissendes Gestalten“ beinhaltet ein Manuskript, das Ingrid Feustel 27 Jahre aufgehoben hat und nun im Rahmen des 50 Jahre-Jubliäums des INKA als Faksimile im Verlag arnoldsche aufgelegt wurde.
Es besteht im Wesentlichen aus Schülerarbeiten von Hanns Hoffmann-Lederer (HHL) an der Werkkunstschule Darmstadt, an die er 1950 als Leiter der zweisemestrigen Vorlehre berufen wurde.
Diese Schülerarbeiten beeindrucken den unbedarften Betrachter ungemein. Es sind Übungen zu den von Hoffmann-Lederer vorgegebenen Aufgaben und ergeben eine Veranschaulichung der Ideen Hoffmann-Lederers in seiner Gestaltungslehre.
Er selber wollte seinerzeit keine Veröffentlichung, weil er befürchtete, dass das, was sich während des Lehrens lebendig ergibt, in einer Buchform der Gefahr unterliegt, zu einem Methodenwerk zu werden. Und Methoden lehnte HHL entschieden ab, denn „damit würde die eigentliche produktive Entfaltung zerstört und auch die Absicht, schöpferische Gedanken durch Tun und Finden zu entfalten, ins Gegenteil gekehrt.“ (S.56)
In einleitenden Worten schreibt HHL 1958 „Ein künstlerischer Ordnungssinn führt zu immer weiterer Vertiefung, zum Erfassen des Wesentlichen aller Dinge und Erscheinungen, zur Zusammendrängung und Vereinfachung, d.h. zur ‚Abstraktion‘, was bedeuten soll, höchste Konzentration auf das Wesentliche“.
Weiter: „Damit ein Mensch also überhaupt in den künstlerischen Schaffensprozess eintreten kann, ist es notwendig, dass er sich in sich selbst vertieft, dass er Zeit gewinnt für sein Selbst und seine innere Entwicklung, um so den Boden zu schaffen für wirkliche Offenbarungen.“
Und: „Die Kunst bildet jetzt nicht mehr nach der Natur, sondern nach den Gesetzen der Natur. Ihr Motiv ist nicht mehr die Natur,sondern sind die Metamorphosen der Natur. Sie will nicht Darstellung einer Bewegung sein, sondern vermittelt die Empfindung der Bewegung.“
Allein diese drei Zitate legen die Grundlage für die Gestaltungslehre von HHL. Und er sagt, dass man dies nicht erlernen kann, sondern nur in Menschen entfesseln, wenn diese Fähigkeit zum Erleben bereits vorhanden ist.
Ein Beispiele der Materialstudien:
„Um selbst schöpferisch gestalten zu können, müssen wir zunächst in den Schöpfungsprozess aller Dinge eindringen und ihn verstehen lernen.“ (s.61)
Die Leichtigkeit der Feder sei hier abgebildet:
Leider sind die Urheber der Zeichnungen nicht bekannt, aber wir können sehr deutlich erkennen, dass hier große Begabungen am Werke waren, die die Lehre von HHL erfassten. Im Bild Raumverspannung finden ich die Spannung am tiefsten und der Raum wird sichtbar und erlebbar. Es ist eine Kletterwelt entstanden, in der der Mensch sich bewegt und entwickelt. „Die Leichtigkeit der Feder“ bedarf eigentlich keines Kommentars. Der Betrachter selbst spürt diese Leichtigkeit und beginnt zu schweben. Dagegen finden wir in den Farbkompositionen ein eher technisches Vorgehen. Die über-einander gehenden Farben ergeben jeweils eine dritte neue Farbe. Die Versuche gehen bis zu vier Farben = 9 Töne. Die Vielfalt der Welt wird erfahrbar.
Es ist spürbar, dass es nicht um die Wiedergabe von Formen und Farben geht, sondern dass in dem Spiel des schöpferischen Menschen etwas Neues, eigentlich Unsichtbares sichtbar und spürbar wird.
Ich bin den Herausgebern, insbesondere Ingrid Feustel sehr dankbar, dass dieses Buch erschienen ist. Mir wird dadurch deutlich, was meinen eigenen zeichnerischen Versuchen fehlt. Die Innenwelt der Dinge.
Dieter Koschek
erschienen in jedermnsch 700
Das Buch „Wissendes Gestalten“ ist zur Ausstellung der drei Künstler Joseph Beuys, Hanns Hoffmann-Lederer und Maria Keller, anlässlich der 50-Jahrfeier des Internationalen Kulturzentrum Achberg, erschienen und kann auch dort während der Öffnungszeiten des Cafés erworben werden.