März 14, 2024

Eine lebendige Demokratie

Es war nicht erst vor vier Jahren als die Demonstrationen in Deutschland begannen. Davor war die Klimabewegung der vorherrschende Protest. Doch die Maßnahmen gegen die Pandemie riefen neue vielfältigen Proteste hervor, viele Menschen fühlten sich durch die Maßnahmen in ihrer Freiheit eingeschränkt. Des weiterwn wurden die herrschenden Meinungen über den Ursprung und die Folgen des Virus zum Streitthema in der Öffentlichkeit. Die Bewegung der Querdenker bildete sich und es kam zu großen Demonstrationen.
In meinem naiven Rückblick sehe ich dabei zwei wesentliche Momente, die weiter gedacht werden müssen. Unsere heutige Gläubigkeit an die Wissenschaft ist zwar fundiert durch die Erfolge der Wissenschaft – aber die Evidenz ist tatsächlich ja anzuzweifeln, bzw. weiter zu denken als bisher angenommen. Denn unsere Naturwissenschaft läßt zwar die Körper und den Geist brillieren, vergißt aber die Seele, den ganzen Menschen, das Ich und sein Bewußtsein. Es ist also notwenig, hier die Wissenschaften zu erweitern.
Das gleiche gilt für die Demokratie. Die von vielen als Zwangsmaßnahmen empfundenen Eingriffe in unser Leben rufen geradezu nach einer Weiterentwicklung der Demokratie. Die Parteipolitiker ließen keine Zweifel an den Maßnahmen zu. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zählte in dem Augenblick nichts. Auch ich zweifelte an den Qualitäten der Selbstbestimmung. Die Bedrohung und die Notwendigkeit, schnell Maßnahmen zu ergreifen, ließen für mich grundsätzlich erstmal keinen Zweifel aufkommen. Später waren etliche Maßnahmen überzogen und nicht zu Ende gedacht.
So bleibt die Frage nach Systemen und Formaten, wie die Gesellschaft schnell zu Maßnahmen kommen kann ohne grundlegende Freiheitsrechte zu begren-zen. Die pluralistische Demokratie ruft hier nach Erweiterungen.
Nach Beendigung der Pandemie und der Maßnahmen nahm das gesellschaftliche Leben wieder an Fahrt auf. Bereits im Dezember 23 gingen die Bauern mit ihren Traktoren auf die Straße, um vordergründig gegen die Streichung von Subventionen zu protestieren. Die Regierung knickte daraufhin ein und nahm einen Teil der Kürzungen zurück. Aber die grundlegende Frage einer umfassenden Agrarpolitik wurde von den meisten nicht thematisiert. Auch hier rufen die Demonstrationen nach einer grundlegenden neuen Agrarpolitik.
Und nun das: Seit dem Januar 24 finden an jedem Wochenende in unzähligen Städten Protestdemonstrationen gegen die AFD statt.
Ein Treffen von AFD und CDU-Politikern mit Sprechern der Identitären in Potsdam, bei dem sie Strategien gegen die Ausländer, die sogenannte Remigration – also einer massenhaften Deportation selbst Deutscher mit Migrationshintergrund – planten, ließ das Fass überlaufen und der Proteststrom reisst bislang nicht ab. Hintergrund sind die hohen Umfragewerte der AFD. Auch wenn die Demonstrierenden sicher nicht einer Meinung sind, wenden sie sich doch gegen die Pläne der Rechtsextremen. Vor allem wird sichtbar, dass wir eine pluralistische Gesellschaft sind.
Leider verhärten sich die Positionen auf allen Seiten. Bei allen drei Protestwellen läßt die Form und die Sprache zu wünschen übrig. Es werden Protestformen gewählt, die in Beschimpfungen, Schuldzuweisungen münden, bis hin zu Blockaden, die nicht unbedingt gewaltfrei sind.
Besonders bei den beiden ersten Protestwellen gingen die Menschen nicht friedlich miteinander um. Zumindest gab es Diffamierungen und Beleidigungen. Hier spiegelt sich vielleicht die Wut und der Hass wieder, der sich auch und besonders in den
anonymen sozialen Medien zeigt.
So kann das nichts werden. Demokratie führt zwar zu Protesten, aber die Lösungen können nur gemeinschaftlich erarbeitet werden. Selbst wenn die Regierenden sich uneinsichtig zeigen und nicht bereit, sind von ihrer selbstherrlichen Machtposition herunterzusteigen, bleibt den Protestierenden nichts anderes übrig, als ihre Positionen immer wieder gewaltfrei vorzubringen und in Formaten wie Runden Tischen, Bürgerräten und weiteren Gremien einzubringen. Dies darf dann durchaus mit Demonstrationen und anderen friedlichen Aktionsformen untermauert werden. Aber letztlich bleibt in einer Demokratie nichts anderes möglich, als das gemeinsame Gespräch zu suchen. Bei der Aufarbeitung der Pandemie geschieht dies nicht. Bei den Bauernprotesten bezüglich des Tierwohls gäbe es ja die Grundlage der Borchert-Kommision, bei der alle Beteilgten an einem Tisch saßen und Lösungen erarbeitet haben. Aber die Parteipolitiker haben die Ergebnisse nicht beachtet.
Deshalb braucht unsere Demokratie weitere Formen, die die Machtpolitik der Parteien eingrenzt und die Beteiligungsmöglichkeiten zu verbindlichen Politikinstrumenten entwickelt. Die Bürgerräte fördern ja eine gute Gesprächskultur, aber wenn die Parteien einfach weitermachen wie bisher, fördert das nur den Frust und gefährdet damit auch die repräsentative Demokratie.
Dieter Koschek
erschienen in jedermensch 710

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