Dezember 21, 2021

Visionen und Politik

Auf den Tagen der Utopie im Jahre 2021 in St. Arbogast, Götzis, Vorarlberg hat Ilija Trojanow, der gerade ein Buch zum Thema Utopien schreibt, die wichtigsten Utopien der bisherigen Zukunftsliteratur zusammen- und vorgestellt. Ein Gedanke dabei war, dass diese Zusammenstellung ja das Programm einer neuen Bewegung sein könnte.

Das Gesellschaftliche

  • Überwindung des Patriarchats sowie aller Formen von Rassismus
  • Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Bürgerinnen und Bürger
  • freie Entfaltung jedes Einzelnen, Selbstständigkeit im Denken und Handeln;
  • freie Wahl der eigenen Tätigkeit gemäß den Talenten und Bedürfnissen des Individuums
  • die Menschen kommunizieren würdevoll gleichberechtigt miteinander;
  • ein gegenseitiges (Zu)Hören und (An)Sehen
  • Altruismus als selbstverständliche Grundhaltung;
  • gelebte Hilfsbereitschaft und Solidarität;
  • Nähe und Wärme innerhalb der Gemeinschaft
  • Offenheit für Veränderung
    freier Bildungszugang für alle
  • eine Erziehung, die den Fokus auf immaterielle Werte und auf Gemeinschaftssinn legt (Empathie als wichtigstes Fach)
  • Spiritualität anstelle von religiösem Dogma
    offener, freier Umgang mit Sexualität; keine Pornografie

Das Politische

  • flache Hierarchien, keine rigiden, verkrusteten Institutionen;
  • keine Machtkonzentration in den Händen weniger Menschen
  • keine festgeschriebenen oder ungeschriebenen Privilegien für eine bevorzugte Minderheit
  • Netzwerke statt Autoritäten
    Dezentralisierung
  • direkte Demokratie, Plebiszite, Teilhabe an politischen Entscheidungen;
    lokale Vollversammlung aller Bürgerinnen und Bürger
  • Frieden, Gewaltlosigkeit;
  • Abschaffung des Militärs und der Rüstungsindustrie
  • Achtung der Tiere
  • Keine Strafjustiz; statt Bestrafung Behandlung; schlimmstenfalls Verbannung/Verstoßung aus der Gemeinschaft

Das Wirtschaftliche

  • Wertschätzung der Natur;
  • umweltbewusste Lebensweise, nachhaltige Produktion, Recycling als ökonomische Basis;
  • Einsatz erneuerbarer Energien und Ressourcen;
  • Herstellung von äußerst langlebigen Produkten, die dem tatsächlichen Bedarf der Menschen entsprechen, nicht dem künstlich durch Werbung erzeugten
  • Wirtschaftswachstum gilt nicht mehr als Ziel
  • Kooperation und Tausch statt Wettbewerb und Profit
  • freier Zugang zu materiellen Gütern der Grundversorgung für alle
    Technologie im Dienst einer höheren Lebensqualität aller Menschen
  • Kein obsessiver Konsum mehr;
  • keine Verschwendung
  • Kein Hunger
  • hohes Maß an Selbstorganisation und Selbstversorgung
  • bevorzugt vegetarische Ernährung
  • Abschaffung des Geldes; stattdessen ein System sozialer Guthaben, mit einer gesicherten Befriedigung aller Grundbedürfnisse;
  • freier Zugang zu allen Allmendegütern (Luft, Wasser, Musik, Gesundheitsversorgung)
  • Abschaffung erniedrigender und gefährlicher Arbeit durch weitreichende Automatisierung
  • Statt Arbeit sinnvolle Beschäftigung; vor allem kreative und soziale Aktivitäten

Diese Visionen sind manchmal Allgemeingut und andere sicher nicht repräsentativ, sie werden aber diskutiert und von verschiedenen Gruppen angestrebt.

Seit dem 7.12.2021 haben wir nun eine Ampelregierung mit grüner Beteiligung. Sicher ist nicht zu erwarten, dass diese Regierung sich an den Utopien abarbeiten wird. Den Koalitionsvertrag zu lesen gelang mir nicht, die Worte dort sind zu einschläfernd – jedoch sicher mit Gehalt und die Grundlage der Politik. Und siehe da, einige Aspekte der Utopien tauchen in der Politik dieser Regierung auf.

Widersprüchlichkeiten, zeitgleiche Verschiedenheiten und verschiedene Zeitvorstellungen sind Teil der heutigen Zeit.

Ob die Zurückgezogenheit des Kanzlers einen neuen Führungsstil beinhaltet ist nicht klar, aber durchaus möglich. Kein Bastakanzler, sondern einer, der Meinungsbildung ermöglicht. Da ist die Coronaimpfpolitik ein Beispiel. Keine Machtpolitik, sondern ein freies Pendeln der Meinungen. Keine Regierungsvorlage, sondern freie Diskussion im Bundestag, kein Fraktionszwang und diverse Anträge – die im Augenblick zumindest – keine Mehrheiten finden. Das dadurch keine Impfpflicht kommt, ist ein Lichtblick (mmn sollte sich jedoch so viele wie möglich impfen lassen, freiwillig).

Ein weiterer Lichtblick ist die Außenministerin Baerbock. Bei ihrem ersten „Ausflug“ nach Paris lachte so noch unbeschwert und sorgte mit ihrem Fotostopp mit Blick auf den Eiffelturm für internationales Aufsehen: Huch, ein Mensch in der Politik. Doch die Ukraine-Krise sorgte für immer weniger Lächeln in ihrem Gesicht. Die neue Politik zeigte sich doch immer in Nebensätzen: Kritik der israelischen Siedlungspolitik, Reden statt Waffen, Kein Waffenexport in Krisengebiete, Zurückhaltung in der Ukraine-Krise,…

Und die Berufung der Greenpeacechefin als Klima-Sonderbeauftrage läßt aufhorchen.

Robert Habeck als Wirtschaftsminister sorgt für klare Ansagen, eilt damit aber den sozialen Bewegungen davon. Schnelle Entscheidungen sind nur oberflächlich gut, es gehören die Bürger*innen überall mitgenommen. Mit einer „Allianz der Transformation“ will er den Wandel der Wirtschaft vorantreiben, der Ausbau von Sonnen- und Windenergie soll verfünffacht werden. Das es hier natürlich Bremser in den unionsgeführten Ländern gibt ist klar. Auch ist es zu früh um die vielen Ansagen beurteilen zu können.

Und es soll noch dieses Jahr ein Rüstungsexportkontrollgesetz geben, plant Staatssekretär Sven Giegold, der auch bei der attac-Gründung dabei war. Er will „allen zuhören – der Friedensbewegung wie der Rüstungsindustrie.“

Und Cem Özdemir brachte die mediale Welt gleich in höchste Aufgeregtheit mit seiner Forderung, dass die Agrarpreise steigen müssen. Doch er war der erste Minister, der sich der Demonstration „Wir haben es satt“ stellte und mit ihnen sprach. Eine Änderung bei den EU-Agrarsubventionen steht an, er plant 30% Bio bis 2030 und vieles andere mehr. Dabei will er mit seiner Kollegin Steffi Lemke im Umweltschutzministerium Allianzen bilden. Und er forderte das Agrarbündnis mit über 60 Organisationen auf, weiter Druck auszuüben. „Die anderen machen es auch.“

Die neue Regierung rührt auch andere Positionen auf und an. Abschaffung der §219a, Kontrolle der sozialen Medien zur Verhinderung von Mord und Hasssprache, bürgergeld statt Sanktinen und und und. Der Koalitionsvertrag hat 178 Seiten.

Zusammengefaßt will ich sagen, dass es sich lohnt, sich für die oben genannten Utopien zu engagieren, Schritte zu formulieren und sie in sozialen Bewegungen vorzubereiten. Es ist ein langer Atem notwendig und eines Tages ist es soweit.
So gab es im 19. Jahrhundert über 6000 Solidargemeinschaften der Arbeiterbewegung zur Absicherung von Risiken. Diese und die Proteste zwangen Reichskanzler Bismarck letztlich dazu eine Sozialversicherung zu installieren.

Und 2022 werden die letzten drei deutschen Atomkraftwerke stillgelegt.

Dieter Koschek

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