Juni 21, 2019

Sinnen und Ankommen

Das Fest zu 100 Jahre Dreigliederung in Achberg Ende April, an dem 200 TeilnehmerInnen anwesend waren, war ein besonderes Fest. Ich nahm insgesamt drei Impulse wahr, sicherlich subjektiv, die (nicht wirklich) neu waren, aber für mich in dieser Klarheit erstmalig zu Tage traten.
Es kommt auf den inneren Wandel an, ohne dabei die sozialen Löungen, die Zivilgesellschaft und die Politik aus dem Blick zu nehmen. Und drittens war eine deutliche Verjüngung der TeilnehmerInnen festzustellen.
Da war zum einen Hildegard Kurt, Kulturwissenschaftlerin und meine Lieblingsautorin seit zwei Jahren, die es schaffte, in ihrem Vortrag „Zur transformativen Dimension des Festes“ mehrere Impulse zusammenzutragen. Sie knüpfte an das Wort von Beuys an „Ohne die Rose tun wir´s nicht“ und verdeutlichte daran, wie die Dreigliederungsbewegung in einem Prozess ist, der erst in der überraschenden Blüte ein Ende findet. Gleichzeitig stellte sie die Probleme der Welt ebenso an der Rose dar, denn diese Rose ist ein Massenprodukt des globalisierten Kapitalismus, die nicht einmal mehr duftet. Gleichzeitig schärfte sie den Blick darauf, das die Dreigliederungsbewegung nicht darin verharren sollte, was denn nun wirklich damit gemeint ist, sondern sie sollte ihren Blick darauf richten, was in der Zivilgesellschaft passiert. Dort spiegelt sich die Entwicklung des Individualismus hin zu Kreisen von Menschen, die ihre jeweils eigenen Egoismen (im positiven Sinn) wirksam in einen gesellschaftlichen, sozialen Zusammenhang stellen.
„Die Zeit der Elefanten ist vorbei“, meinte sie angesichts der starken Männer, die die Dreigliederungsbewegung von Achberg aus gestalteten. Die Zeit der Initiativen und Projekte muss ins Auge gefasst werden.
Auch wenn die Rose ihre Wichtigkeit nicht verliert, so gewinnt die Pusteblume an Bedeutung, die ihre Samen überall hin verteilt. Diesen Aspekt von Hildegard Kurt wurde am zweiten Nachmittag, dem Podiumsgespräch als zweiter wichtiger Impuls mit Christian Felber, Anna Deparnay-Grunenberg und Gerald Häfner über Politik, Wirtschaftssystem und Gemeinwohlökonomie ebenfalls hervorgehoben. Gerald Häfner betonte mehrfach die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft, das eigentliche „revolutionäre Subjekt“ heute. In dieser Vielfalt stecke soviel soziale Dreigliederung, man muss nur die Sinne dafür entwickeln.
Christian Felber stellte die Erfolge der Gemeinwohlökonomie vor. Das meiner Meinung nach besondere ist, dass er seine Arbeit in einer Symbiose mit der „Dreigliederungsbewegung“ sah. Er betonte, dass besonders anthroposophische Betriebe oft die Vorreiterrolle in der Gemeinwohlökonomie übernehmen. Er wünschte sich geradezu eine Verschmelzung der Bewegungen, bei der Achtung aller anderen Ansätze, die es so gibt.
Anna Deparnay-Grunenberg, Stuttgarter Stadträtin und Kandidation für die Europawahl machte bereits an ihrer Biografie klar, dass es ohne ein Europa nicht mehr geht. Auch sie wies darauf hin, das die Politik
nur wirklich agieren kann, wenn es die Zivilgesellschaft will.
Ich selbst beobachtete die Arbeitsgruppen nur von außen, dort wurde mir aber deutlich, dass die Arbeit an der Innenwelt immer wichtiger wird. Nicht die Lösungen für das System, die Krisen, der Klimawandel sind am wichtigsten, sondern die Bewahrung der inneren Lebendigkeit. Hier war öfters Stille, Wahrnehmen, Tiefe und Lauschen von mir wahrgenommen. Teilnehmer standen in der Natur und schauten in die Ferne oder wurden den Pflanzen, des Wetters gewahr.
In der Videoinstallation von Ruth Bamberg wurde deutlich, dass das Wahrnehmen im Inneren passiert.
Die „Tänzer“ richteten ihre Bewegung und ihren Ausdruck an die TeilnehmerInnen, obwohl per Video doch sehr direkt. Es wurde mir deutlich, dass ich mir Zeit und Raum geben muss, um zu verstehen, was passiert.
Es war ein besonderes Fest für mich. Ich nahm die soziale Dreigliederung in der Gestaltung des Festes wahr und in den Begegnungen wurde deutlich, dass dieser Impuls in den Menschen wohnt und es nur noch ein Bewusstwerden dieser inneren und äußeren Impulse benötigt, um die Chance einer Zukunft zu erhalten – und die Zukunft zu gestalten.
Dieter Koschek
erschienen in jedermensch 691

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