Das Leben ist rauer geworden. Der materialistische-kapitalistische Westen hat sich die Erde untertan gemacht, beutet sie rücksichtslos aus. Weite Flächen unserer Welt sind verwüstet und sterben. Der kommende Klimawandel mit der Erderwärmung zeigt dies deutlich. Eckhard von Hirschhausen hat das auf der Pressekonferenz der „Wissenschaftler für die Zukunft“ deutlich gesagt: Zwei Grad mehr sind der Todesstoß für unsere Erde. Es ist wie wenn der Mensch 41 ° Fieber hat und das steigt um weitere zwei Grad. Das ist tödlich und es wird tödlich sein für den Menschen und viele andere Lebewesen auf dieser Welt. Das Artensterben ist schon in vollem Gange.
Und gerade dann muss ich mir Gedanken machen, wie ich damit umgehen kann ohne krank zu werden. In einem unserer letzten Rundgespräche über Plastikmüll kam es zu einer depressiven Stimmung. Alles ist aussichtslos angesichts der Müllmenge und der Handlungsunfähigkeit der Politik (das spüren viele Menschen in allen möglichen anderen Bereichen auch). Selbst die herrschende Parteipolitik ist aussichtslos, ändern wird sich nichts. In dieser Hoffnungslosigkeit suchen die Menschen Auswege, in denen anderen die Schuld gegeben wird. Und wählen dann die Politiker, die dies ebenfalls professionell beherrschen. Die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich und auf der ganzen Welt die Rechtspopulisten. Wie das unsere Gesellschaft verändert, kann man dann nur ahnen, wenn wir Meldungen wie die Ibiza-Affäre der FPÖ auf Video präsentiert bekommen.
Das Gemeinwesen liegt in den Händen von skrupellosen macht- und geldgierigen Menschen. Das vergiftet das Gemeinwesen. Überfälle auf anders- artige, andersdenkende Menschen häufen sich und ich meine jetzt nicht die radikalen Islamisten, sondern die Rechtsradikalen in unserem Land.
Der Klimawandel unserer Innenwelt hat uns schon fest im Griff.
Wie kommen wir da wieder raus? Was können wir dem entgegensetzen?
Es ist schwer. Wenn wir uns organisieren und der Gewalt entgegentreten, schaffen wir ebenfalls gewaltvolle Strukturen. Wenn wir Energiesparen und Mülltrennen bleiben wir in dem System verhaftet. Wenn wir neidisch auf die Reichen sind, wollen wir auch nur reich sein……
Natürlich ist es richtig und wichtig aufzumerken und die Missstände aufzuzeigen und anzuprangern, Das muss weiterhin geschehen. Aber wir müssen dann neue Wege und neue Möglichkeiten eröffnen. Im Rundgespräch über den Plastikmüll platzte mir angesichts der Ohnmacht der Kragen: Hier hilft nur Liebe. Liebe zu mir selbst, meinen Mitmenschen und der Erde als Organismus. Ich will nicht ohnmächtig werden, sondern will meine Lebendigkeit erhalten, will das Leben spüren, in mir.
Dann kann mich die Ohnmacht nicht lähmen. Und ich habe die Chance frei zu bleiben.
Toll, einfach gesagt, ein Patentrezept habe ich auch nicht. Nach dem besagten Rundgespräch habe ich eine Teilnehmerin spontan zum Frühstück am nächsten Tag eingeladen. Ich habe bei der Bestellung für den Laden im März Erdbeeren aus Spaniens Folienhäuser bestellt, ich habe meinem inneren Kind was Gutes getan. Ich gehe gern in das Buch Café in Lindau und lasse meine Seele für zwei Stunden baumeln. Ich versuche meine Kontakte und Freundschaften zu pflegen, was allein schon schwer genug ist, aber immer wieder Lichtblicke hervorzaubert.
Ein einfaches Mittel, aber oft aussichtslos, ist es, den Menschen, denen ich im Zug begegne, in die Augen zu schauen und offen zu sein für ein kurzes Gespräch. Heute, hier in Berlin, schauen die Menschen in der U-Bahn vor sich hin oder auf ihr Handy und sehen die anderen im Abteil gar nicht. Und wenn, scheint Angst und Vorsicht zu überwiegen. Sprich mal jemanden an und du wirst merken, wie schwierig das ist.
Und wir brauchen Räume, Begegnungsorte, die über das Café hinausgehen, wo es nicht nötig ist, zu konsumieren, sondern wo ein Miteinander, ein gemeinsames Verstehen und ein solidarisches Gefühl mit den anderen möglich ist. Ja, so was wie der Eulenspiegel oder das Buch Café in Lindau. Solche Orte gibt es überall. In fast jeder Stadt gibt es so eine Kneipe, ein Kulturzentrum, einen Gemeinschaftsgarten, oder eine Reparaturwerkstatt oder wie immer der Raum aussehen mag.
Dort werden solidarische Gemeinschaften gelebt, ohne Hierarchien, man gibt aufeinander Acht, die Unterschiedlichkeit wird respektiert oder gar als Vielfalt gewünscht. Dort findet im Kleinen die bessere, gleichberechtigtere und sozialere Gesellschaft statt. Pflegen und erhalten wir solche Orte.
Hier in Berlin sitze ich in einer Kneipe am Kottbusser Tor, das die Presse zum gefährlichsten Ort Berlins erkoren hat, und spüre diese Vielfalt, diese Freundlichkeit der Menschen, Touristen und Studenten, Alte und Junge, Bettlern, alte türkische Männer und etwas verloren wirkende junge Männer und Frauen betteln zwischen den Tischen – und ich wundere mich darüber, wie Angesprochene mit Empathie reagieren und etwas mit einer Selbstverständlichkeit und Freundlichkeit geben. Allerdings werden sie meist ignoriert, denn es vergeht keine Stunde ohne Bettelei. Das ist ein menschliches Übungsfeld für ein gutes inneres Klima. Diese Routine der Bettelei zu halten und dabei menschlich und freundlich zu bleiben.
Gut gebrüllt Löwe, und wie kann ich das üben? Peter Schilinski hat gesagt, Liebe ist Interesse am Anderen. Das bedeutet für mich, fragen und zuhören (ha, erwischt, nicht gerade meine Stärke). Es kommt aber nicht darauf an, das perfekt zu beherrschen, sondern es zu üben. Und wenn ich noch so oft zu viel rede, ich habe jedes Mal die Chance wieder Zuhören zu üben. Hier kommt es dann darauf an, mein eigenes Verhalten zu bemerken und es versuchen zu ändern.
Oder die Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg in sich (oder auf einem Zettel bei sich) zu tragen und versuchen sie anzuwenden: Beobachten statt Urteilen, Gefühle statt Gedanken ausdrücken, Bedürfnisse satt Strategien äußern, bitten statt fordern. Das ist wie meditieren, es kommt nicht darauf an, es zu können, sondern es zu versuchen.
Anleitungen, Ratgeber und Übungen gibt es genug, doch wie schaffe ich es, das zu fühlen, zu spüren, tief in meiner Seele es zu verwurzeln?
Nachfragen, mich selber nachfragen! Wie geht es mir? Was macht das mit mir? Will ich das? Was passiert da in mir? Fühle ich mich wohl? Geht es mir in dieser oder jenen Situation gut? Mich selber fragen, Interesse für mich selber haben. Oh, wie ist das schwer, wie lange habe ich gebraucht, um das formulieren zu könne, hier in einem Artikel. Und wie schwer ist es, das im Alltag zu tun? Gefühle zu spüren und zu erkennen. Aus der Tiefe hochkommen zu lassen. Und dann diese Gefühle auszuhalten, zu halten. Sich selber lieben.
Viele sagen, das geschieht durch Hören, Lauschen und Horchen. In jeder Situation wahrzunehmen, selbst dabei nicht zu denken, sondern zu horchen. Was tut sich in der inneren und äußeren Welt? Einen Moment der Stille schaffen – das geht auch in dem Lärm der Berliner Straßen – und zu horchen, was liegt in der Luft außerhalb der Realität, sondern in der Wirklichkeit? Was sagt der Baum, der Vogel, das Stückchen Müll im Wind? Oft fehlen erst die Worte. Keine Angst zu haben vor dem Unbekannten, was sich da zeigt, sondern sich zu öffnen für das Neue. Das kann beim Gehen, Sitzen, Liegen, Schlafen, im Konzert, beim Tiere beobachten, überall passieren.
Dann verbessern wir unser Klima in der Innenwelt und damit in der Außenwelt.
Dieter Koschek
erschienen in jedermensch 691