März 21, 2019

100 Jahre soziale Dreigliederung

Zwei Großveranstaltungen in Stutgart und Achberg zum Thema Sozialgestalt der Gesellschaft stellen heute die Idee der Dreigliederungsidee als Fest und Impuls vor. Mit dem Buch „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ von 1919 brachte Rudolf Steiner die Dreigliederungsidee auf den Weg.
Kurz gesagt verband er die Forderungen der französischen Revolution mit der Gliederung der Gesellschaft
in Geistes-, Rechts- und Wirtschaftsleben. Also Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben
und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Die einzelnen Glieder agieren selbständig mit eigenen Verwaltungsorganen.
Ich lernte die Soziale Dreigliederung in dem Verständnis von Peter Schilinski (1916 – 1992) etwa 1988 kennen. Peter war anders. Er verband diese Impulse immer mit den Sozialen Bewegungen: Der Anti-AKW-, Friedens-, Selbstverwaltungs-, Frauenbewegung usf.. Dabei stand für ihn im Vordergrund, dass “Wahrheit und Liebe (zu) verbinden die einzige Möglichkeit ist, um positiv wirksam zu werden. Ohne das Erüben von Menschenerkenntnis, Selbsterkenntnis, Toleranz und gegenseitigem Interesse hat die ganze politische Geschichte kein Fundament.”
Damit konnte ich viel anfangen. Gemeinsam leben und arbeiten an einem Ort, ohne Hierarchien, praktizierte Gleichheit und Brüderlichkeit. Das Herz unseres Projektes Eulenspiegel war der gemeinsame Tagesbeginn, Frühstück mit Lesen von Steinertexten. Aber immer mit der Frage: Was hat das mit mir zu tun? Was verstehe ich davon? Was folgt für mich daraus? Es ging uns also nicht nur um das Verstehen, was wohl Steiner gemeint haben könnte, sondern um die Bedeutung für uns selbst. Im Kleinen wollten wir das in unserer Lebens- und Arbeitsgmeinschaft ausprobieren.
Auf politischer Ebene ging es darum, die sozialen Beziehungen zu stärken und den Menschen die Impulse näher zu bringen. Mit Gesprächsrunden auf Augenhöhe, mit Straßentheater und mit Beteiligungen
an politischen Aktionen.
Das Wichtigste dabei waren und sind die Begegnungen zwischen den Menschen.
Soziale Dreigliederung kann politisch nicht eingeführt werden und die praktische Umsetzung muss sich immer an der Persönlichkeit der Protagonisten messen lassen.
Freiheit hat als Grundlage meine Freiheit. Dazu muss ich mich befähigen, Gegensätze, andere Meinungen und Wege aushalten zu können. Dabei sich gegenseitig stärken auf dem Erkenntnisweg, welcher ja immer subjektiv ist. Einjede hat ihren eigenen Weg. Es gibt nicht den „richtigen“ Weg, sondern viele verschiedene.
Das wichtigste dabei ist dies zu respektieren und dabei respektvoll das Gemeinsame, Einende zu suchen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es dabei hilfreich ist, von sich, von seinem eigenen Herzen
zu sprechen – und weniger über etwas.
Gleichheit übersetze ich oft damit, dass jeder Mensch das gleiche Recht haben muss, überall. Auch hier kann es nicht bei einer Forderung bleiben, sondern es muß zum gelebten Alltag werden. Da hilft oft der Blick auf die Sprache. Wer hat am meisten geredet, wer hat zugehört, wer hat das letzte Wort? Wie reden wir miteinander, verstehend oder rechthabend? Wie in einer Beziehung geht es um wohlwollenden Respekt und Wertschätzung. Sehe ich den göttlichen Impuls im anderen?
Brüderlichkeit scheitert schon an dem alten Begriff. Die Hälfte der Menschheit ist ausgeschlossen, obwohl
alle Menschen sich am Wirtschaftsleben beteiligen.
Wir hier in Europa haben das Glück, in dem reichsten Teil der Welt geboren zu sein. Das fordert von uns jedoch das Mitgefühl mit den anderen. Wie kann es mir gut gehen, wenn es den Menschen neben
mir schlecht geht? Hängt mein Wohlergehen mit dem Elend der anderen gar zusammen? Wie kann ich handeln um das Gemeinwohl aller zu fördern?
Weltweit, gleichzeitig, für alle ist eine unlösbare Aufgabe.
Zudem, wenn ich bedenke, wie schwer es mir selber fällt, wenn es um das Miteinander in meiner Beziehung geht. Aus meinen Überlegungen heraus folgt für mich der Schluss, dass es nur gemeinsam gehen kann. In der Verbundenheit mit dem Nächsten, mit allen Menschen, der Natur, dem All-eins und mit mir selber.
Dreigliederung bedeutet eine Gemeinschaft zu fühlen, zu spüren und dabei die Freiheit, Gleichheit und das Gemeinwohl verstehen zu wollen. Es bleibt ein Versuchen, ein Üben. So verstanden, fängt die Drei-gliederung heute erst richtig an sich zu entwickeln.
Dieter Koschek
erschienen in jedermann 690

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