September 21, 2019

Mensch, Geist und Technik

Der Mensch bringt die Technik hervor. Häuserbau, Landwirtschaft, Gartenbau, das weltberühmte Rad und seit zweihundert Jahren die industrielle Revolution mit dem vorläufigen Höhepunkt der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz. Das sind große Leistungen der Menschheit und der Mensch sollte sich eigentlich freuen. Denn die mühselige und schwere Abeit sollte vorbei sein.

Freizeit, Muße und Gelegenheiten für vielfältiges Miteinander sollten die Belohnung für die grandiosen Erungenschaften sein.

Und doch treffe ich immer wieder auf Menschen, die Technik kritisch gegenüberstehen, in der ein oder anderen Form ablehnen, ja verteufeln, versuchen sie zu umgehen. Wie kommt das? Was tut die Technik, damit wir sie ablehnen? Ein Handy ist nicht böse, weil die Jugendlichen nur noch darauf schauen, das Internet ist nicht die Hölle, Elektronik ist nichts Missliches.

Eine andere Frage ist die, warum uns Menschen die Technik so fasziniert? Die digitale Technik mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz drückt unsere Sehnsucht nach der geistigen Welt aus. Wir wollen alles wissen (können). Wir wollen mit allem verbunden sein, mit jedem Menschen wollen wir kommunzieren (naja, nur jeder 2. nutzt das Internet, das ist erst die Hälfte der Menschheit).
Die Sehnsucht sagt dies so: Ich will als geistiges Wesen mich vervollkommnen und alles wissen, verstehen und Einssein mit allem. Obwohl, das ist auch eine materialistische Vorstellung: Alles wissen, das erscheint mir ja etwas anmassend zu sein. Vielleicht liegt ja gerade in den „negativen Fähigkeiten“, dem Nicht-Alleswissen, der Nicht-Perfektion der größere Reiz. Aber auch da bietet ja die technische Welt einiges an Möglichkeiten. Tschernobyl und Fukushima sind ja Beispiele für die Unvollkommenheit, der NichtPerfektion.
So gesehen ist die Definition von Perfektion bzw. Chaos das Gleiche. Und dann wären wir ja wieder bei der entscheidenden Frage. Wenn beides materialistisch ist, worauf kommt es dann an? Auf das Halten, Horchen und Spüren?
Ein anderes Beispiel, warum fahren 6.780 Menschen auf einem Schiff um die Welt? Angetrieben von Diesel oder Schweröl, sie sehen meist nichts anderes als Wasser und werden deshalb rund um die Uhr unterhalten. Essen, Shows und Videos, zudem in diversen Klassen eingeteilt. Warum tun die Menschen sich das an? Das Kreuzfahrtschiff hat etwas Paradiesisches. Eine Insel mit Rundumversorgung. Umweltfragen werden ausgeklammert. Atlantis! Auch die Atomkraft setzt diesen Irrweg fort. Auf der Suche nach den kleinsten Teilchen, die wir auch noch teilen können, entsteht Energie. Heute wissen wir, die Energie ist zwischen den Teilchen (die es gar nicht gibt).

Ich denke, dass die Aufgabe für die Menschen dadurch deutlich wird. Einerseits sind wir fasziniert und wollen diese Technik. Andererseites müssen wir erkennen, was hinter dieser Technik steht.
Wir müssen Fähigkeiten entwickeln, die uns einen angstfreien Umgang mit dieser Technik ermöglichen. Natürlich ist Technik nicht wertfrei. Sie befindet sich meist in der Machtsphäre von Reichen, großen Konzernen und Herrschenden. Damit ist eine Eigenschaft deutlich, Technik ist meist imperial. Sie dient ungewollt, aber doch, der Ungleichverteilung von Wohlstand und Gerechtigkeit.

Die Schattenseiten von Technik sind deutlich. Imperialistisch, hoher Energie- und Ressourcenverbrauch, manchmal auch gesundheitsgefährdent. Hier ist es aber auch deutlich, dass es auf eine starke Zivilgesellschaft ankommt, die diese Gefährdungen erkennt und im Interesse der Allgemeinheit versucht, Kriterien bei der Technikentwicklung- und nutzung zu erarbeiten, wie es Andrea Vetter und Nicolas Guenot in ihrem Beitrag auf Seite 17 tun. Verbundenheit, Zugänglichkeit, Anpassungsfähigkeit, Bio-Interaktion und Angemessenheit sind mögliche Kriterien.

Ich will jetzt aber nicht diese Kriterien diskutieren und dann überlegen, wie die Forschung und Entwicklung entsprechend geregelt werden kann, sondern mein Augenmerk soll meinem persönlichen Umgang mit der realen Technikwelt gelten. Welche Fähigkeiten brauche ich um in dieser Realität nicht in die Muster zu verfallen, die ich allerorts beobachten kann: Kinder werden bevormundet, Handys werden verboten, Möglichkeiten ausgeschlossen? Ich brauche ausreichend Geduld. In dieser Zeitspanne kann ich beobachten, was passiert und mich fragen, ob diese Entwicklung gut ist und wie ich damit umgehen will.

Wir müssen ausreichend gebildet sein, um uns in die Debattte einzubringen, und befähigt sein, dies im Rahmen der Zivilgesellschaft zu tun. Hier gibt es andere Möglichkeiten als Verbote. Klar war und ist der Widerstand gegen die Atomtechnik wichtig, aber ebenso war die Entwicklung von erneuerbaren Energien (auch Technik!) wichtig.

Ich muss entscheiden können. Mich dem Sog der Bildschirme entziehen können. Ich muss Herr meiner Zeit sein und entscheiden können, wann ich die Dinge abschalte oder nicht nutze.

Ich muss selbstbewußt sein und nicht alle Informationen, die ich z.B. über die sozialen Netze bekomme, glauben und gleich weiterverbreiten. Ich muss selbstbewußt sein und nicht mich im Netz produzieren müssen, durch Hassspeaches, durch verunglimpfende Kommentare oder durch falsche Selbstdarstellungen. Ich muss eine seelische und geistige Stärke errungen haben, um mich nicht verführen zu lassen und um Herr über der Technik zu bleiben. (Es gibt immer einen Knopf zum Ausschalten). Da bleiben doch genügend Aufgaben für die aufgeklärte Menschheit. Positive geistige Fähigkeiten entwickeln statt sich über die Technik ärgern.
Dieter Koschek
erschienen in jedermensch 692

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