Juli 4, 2021

Die Liebe üben

Beim einem Lesekreis war dies eine der letzten Denkübungen. Wie können wir die Liebe ins Leben bringen? Die Liebe als Christusimpuls, als Aufgabe dieses Jahrhunderts. Da fallen mir die Übungen und Charakterschulungen in Rudolf Steiners „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ ein, das „Potsdamer Manifest“ von 2005 mit dem Satz „Liebe hält alles zusammen“, buddhistische Lehre und Meditation und auch Hildegart Kurts Buch „Wachsen“ mit dem Kapitel „Liebe üben“.
Hildegart Kurt sucht zuvorderst nach neuen Wegen in der Wissenschaft und findet folgende Möglichkeiten:

  1. Das (empathische), das erkennende Ich in den Prozess des Erkennens zu integrieren
  2. Kontemplative Forschung und Bildung (Arthur Zajonc)
  3. Mit-Wissenschaft (Klaus Michael Meyer-Abich)
  4. Kultur der Nachhaltigkeit
  5. All-ein-sein

Diese wissenschaftsorientierten Wege weisen auch in die eigene Möglichkeiten.
Joanny Macy hat drei Ebenen der „Großen Transformation“ unterschieden.
Protest, Widerstand
Alternativen entwickeln
Bewußtsein erweitern
Alle drei Ebenen geschehen gleichzeitig und es ist hilfreich sie zu unterscheiden, zu gliedern und doch als Teile eines Ganzen zu sehen. Und in allen drei Gliedern, Stufen oder Bereichen ist die Liebe die entscheidende Kraft. Nur mit Liebe macht es Sinn Zerstörungen aufzuhalten, Neues zu entwickeln und zu verstehen was Bewußtsein sein mag.
Als gesellschaftspolitische Struktur waren und sind mir die Impulse der Sozialen Dreigliederung wichtig. Auch hier wird gegliedert und als Ganzes gesehen. Die Impulse setzt der Mensch gemeinsam mit anderen, mit Resonanz und Entwicklung wird das Neue entstehen. Nicht als Programm, sondern in einem gemeinsamen Dialog. Freiheit, Gleicheit
und Zusammenarbeit führen in diesem Sinne immer zu einem guten Miteinander. Allein bei dem Prinzip Freiheit könnte es egoistische Absichten geben, aber im verstandenen Sinne der sozialen Dreigliederung ist Freiheit im Geistesleben etwas, das von einem Ganzen umgeben ist und durch die Freiheit der anderen eingegrenzt wird.
Das sind verschiedene Ansätze, die jedoch gerade das empathische Ich fordern. Um dieses empathische Ich zu entwickelt, zu finden und zu leben sind viele Wege denkbar. Aber die Entwicklung des ICH BIN schaut auf allen Ebenen ähnlich aus.
Hilfreich sind folgende geistige Haltungen:
Gegenhalten – Innehalten – Offenhalten.
Das, was wir in Momenten der Stille, der Meditation üben und uns erarbeiten, müssen wir in die Wirklichkeit bringen. Ein lebenslanger Entwicklungsweg, der in jeden Moment die Umsetzung und Anwendung fordert:
Gegenhalten entspricht dem Protest und Widerstandes von Joanna Macy. Aufmerken, wenn Ungerechtigkeiten passieren, wahrnehmen und aufmerken, wenn Theoretisieren und Diskussion das Gespräch zerstören. Wenn etwas fehlt, muss darauf hingewiesen werden. Andere Möglichkeiten können so im Spiel bleiben. Zuspitzungen auf nur einen Weg fallen weg.
Innehalten ist die Möglichkeit wahrzunehmen, was tatsächlich auch noch geschieht. Hinter den Fakten, dem Wissen. Dem Gegenhalten Raum geben, zu überprüfen, ob ich hier noch lebendig bin, zu horchen, was Neues entstehen will. Nicht Schnelligkeit ist gefragt, sondern die Pause, das Nachsinnen.
Offenhalten ist eine schöne Grundform des Neuen Denkens. Nicht mit alten Mustern zurückschlagen, Recht behalten wollen, Status bewahren – sondern die Offenheit erhalten, bewahren, damit Neues sich zeigen kann und wirklich werden kann. Auch dies geschieht durch die Pause, die Sekunde oder des Tages des Abwartens, des Geschehenlassens. Und wieder des Horchens auf das Neue, das Erspüren in allen Momenten des Lebens, mit dem Gefühl, dem Körper, dem Denken.
Wenn wir so ein Ich entwickeln und beginnen, dies mit Liebe, mit Verbundenheit zum anderen Ich, zur Erde und zum Universum zu erleben, dann ist ein großer Schritt getan, um zu einem sozialen Miteinander zu kommen. Denn das Du ist ein Ich auf ebenso diesem Weg. Verschieden in der Art und verschieden weit auf dem Weg, doch das göttliche Selbst ist in jedem Menschen vorhanden.
Im Alltag ist das schwer. Oft genug falle ich selbst wieder in das altbekannte Gegeneinander, das Überschätzen des eigenen Ichs, des Egozentrismus, der Schnelligkeit des Alltags und der alten Muster des Getrenntseins. Der Geringschätzung des Anderen, der Sympathie, des Urteilens.
Es gibt aber keinen anderen Weg, als diese Übungen für sich zu tun, zu lernen und ein Ichbin zu entwickeln, Schritt für Schritt, Wiederholung für Wiederholung, Rückschritt für Rückschritt – bis sich die kosmische Kraft der Liebe von selbst überall leichter findet. Ein Lächeln des Gegenüber ist deine Anerkennung.
Dieter Koschek
erschienen in jedermensch 699

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