März 21, 2022

Bedingungsloses Grundeinkommen

Auf tageschau.de lese ich am 30.1.22 von dem Experiment ‚Bedingungsloses Grundeinkommen‘ und der begleitenden Forschung. Und das BGE ist im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium angekommen, der ein Gutachten erstellt hat. Das sind für die Bewegung schon enorme Erfolge – auch wenn die Berichterstattung und das Gutachten sehr kritisch bis hin zu ‚geht nicht‘ ausfällt.
Wenige Menschen denken heute so visionär wie dieser wissenschaftliche Beirat, der anscheinend davon ausgeht, dass ein BGE per Verfassungsänderung und Sparmaßnahmen bei der Sozialverwaltung eingeführt werden kann. Aber sie sind halt doch Finanzierungsexperten im alten Korsett. So ist es nicht verwunderlich, dass die Expertise sehr im Rahmen der heutigen Finanzierbarkeit und des aktuellen Verfassungsrechts stattfindet und sie dann zum Schluss kommen, dass realpolitisch sich da nichts ändern läßt.
Die Autoren machen sich gar nicht die Mühe, die Chancen eines Grundeinkommens zu sehen. Es sind die üblichen Bedenkenträger, die sich kleinräumig mit der Idee des BGE befassen.
Meiner Meinung nach geht es bei dem Impuls um die Würde des Menschen innerhalb einer Gesellschaft und eines Wirtschaftssystems. Bei den Experten geht es nur um Bedarf und Existenzerhaltung. Das ist für Menschen zu wenig. Wohnen und Essen ist wichtig, aber die Würde und die Kultur des Individuums, die Selbstbestimmung im Wirtschaftsleben ist damit nur in kleinstem Maße erfaßt.
Zukunftsfähig ist es, die Verwaltung der Armut und der Bedürftigkeit anders zu gestalten und zwar so, dass es keine Armut, keine Bedürftigkeit (im Sinne des Überlebens) und keine Verwaltung davon mehr geben muß. Das ist ein großes Ziel und es wäre den Experten angeraten, nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, die dies möglich machen könnten.
Eine alleinerziehende Münchnerin mit einem Kind hätte (nach Berechnungen des Rates) rund 1800 € zum Leben. Das scheint im teuren München zu reichen, um den alten Vorschriften gerecht zu werden. Dann rechnen sie das hoch auf 1 Billion Euro Finanzierungsbedarf. Gut gerechnet. Aber beim Einsparen geht es bei ihnen wiederum nur um die Realpolitik.
Eine Vision mit Realpolitik zu bezahlen wird vermutlich niemals möglich sein, sondern es bedarf dort schon auch Visionen. Zum Beispiel eine „Reichensteuer“, eine Mehrwertsteuer auf Kerosin, auf Aktienhandel, eine Nutzungsabgabe auf Boden, öffentlich geschöpftes Geld und ähnliches können sie sich nicht vorstellen.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken könnten mit einer Zweidrittelmehrheit überwunden werden oder aber mit Übergangsreformen beim Kindergeld, der Rente und der Grundsicherung neu gestaltet werden. Hier sich Schritte auszudenken wäre ja schon eine Möglichkeit, anders an eine Vision heranzugehen.
Das BGE ist eine individuelle, universelle und bedingungslose Leistung der Gesellschaft. Das bringt an allen Ecken der Gesellschaft Veränderungen mit sich. Für die heutige Erwerbsarbeit wird sich vieles ändern. Götz Werner hat dies angedeutet, wenn er sagte, dass die Wirtschaft keine Arbeitsplätze zur Verfügung stellen muß. Was bedeutet diese ausgesprochene Erkenntnis für unser Wirtschaftssystem? Sein Finanzierungsmodell einer rund 50%igen Mehrwertsteuer stellt Fragen, auf die ich keine Antwort finde. Es ist allgemein noch viel Denkarbeit und praktische Erfahrungen zu leisten, um ein BGE zu verstehen.
„Die Erfüllung der Menschenrechte, die Sicherung von geistiger Freiheit und wirtschaftlicher Existenz, völlig unabhängig von der Einkommenslage eines Menschen, ist die erste Voraussetzung dafür, daß der Mensch auf allen Ebenen der Gesellschaft freier und selbständiger Partner sein kann.“ (Peter Schilinski, Modelle…, Seite 10)
Diese Schlussfolgerung, die Peter Schilinski aus dem jahrelangen Studium der „Kernpunkte der sozialen Frage“ gezogen hat, veranschaulicht sehr aktuell, warum das Bedingungslose Grundeinkommen heute für so viele Menschen eine klare soziale Vorstellung darstellt. (An anderer Stelle plädiert P.Schilinski mehr für eine Art Grundsicherung.)
Für mich ist klar, dass dies die zukunftsfähige Grundlage für das Menschsein ist, aber auch, dass damit viele Veränderungen zusammenhängen. Und dies schafft auf der anderen Seite Unsicherheit.
Denn um hier weiter zukommen, muß das Eigentumsrecht an Grund und Boden vergesellschaftet werden, Geld und Kapital müssen zu öffentlichen Gütern werden und menschliche Arbeit darf keinen Warencharakter mehr haben.
Dann ist die Finanzierung dieses BGE auch machbar!
Schwierig ist für mich beim BGE allgemein, dass es oft als DIE Möglichkeit einer Lösung der sozialen Frage dargestellt wird. Ich selbst habe da eher Zweifel. Es ist ein großer Wurf, aber er bringt auch große Veränderungen mit sich, von denen wir nicht wissen können, wie die Menschen letztlich damit umgehen werden.
Dieter Koschek
erschienen in jedermensch 702

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