März 21, 2022

Reden statt Waffen

„Inmitten Europas herrscht Krieg – direkt in unserer Nachbarschaft. Russlands Präsident Putin hat einen Krieg gegen die Ukraine gestartet, überschreitet ihre Grenzen und verletzt in dramatischer Weise das Völkerrecht.
Ein breites Bündnis tritt gemeinsam für eine Rückkehr zum Frieden in Europa ein. Wir fordern die russische Regierung auf, sofort alle Angriffe einzustellen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen und deren territoriale Integrität wieder herzustellen. Sie muss zum Verhandlungstisch zurückkehren.
Wir sind solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, die unter dem Konflikt leiden und deren Leben jetzt bedroht ist. Und wir setzen uns dafür ein, dass die Grenzen Europas offen bleiben, die Visa-Freiheit weiter besteht, wir Flüchtende aus der Ukraine aufnehmen und sie herzlich willkommen heißen.
Wir streiten gemeinsam für ein Europa der Abrüstung, der Entspannung und der Verständigung. Wir brauchen dringend eine europäische Friedensordnung, in der Grenzen nicht gewaltsam verschoben werden und die Sicherheit von allen geachtet wird.
Die Weltgemeinschaft steht vor gewaltigen Aufgaben: Gemeinsam müssen wir die Klimakrise und das Artensterben bekämpfen, die Corona-Pandemie bewältigen und für weniger soziale Ungleichheit sorgen. Die Krise zeigt, wie dringend wir die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas beenden und konsequent auf Erneuerbare Energien umsteigen müssen. Dies – und nichts anderes – soll und muss im Fokus der internationalen Politik stehen. Frieden für die Ukraine und ganz Europa!“
So der Aufruf des Bündnis, das am 27. Februar in Berlin mit über hunderttausend Menschen (der Veranstalter zählte 500 000) für eine sofortigen Stopp der Kriegshandlungen und einen europäischen Friedensprozess demonstrierte.
Völlig überrascht und fassungslos musste ich hören, dass das russische Militär in die Ukraine einmarschiert ist und unsägliches Leid über die Bevölkerung nicht nur der Ukraine bringt. Waffen und Armeen bringen immer Leid und Not hervor und werden keine Lösungen von Konflikten bringen. Jede Art von Waffen und Armeen (auch die von sogenannter niedriger Intensität) bringen keine Lösungen hervor.
Ein Angriffskrieg a la Putin ist die größte Katastrophe, die hereinbrechen konnte. Und meine Fassungslosigkeit muss in der Propagandaschlacht der Konfliktparteien schwer um Orientierung ringen.
Dieser Eskalation, die durch nichts zu rechtfertigen ist, geht aber eine Geschichte voraus. Der Untergang der Sowjetunion Ende 1990, die Osterweiterung der EU und der NATO, und speziell natürlich die Entwicklung in der Ukraine selbst. Hier ging es immer um die westliche und besonders die östliche Einflusssphäre. Russland setzte die Ukraine immens unter Druck, nicht dem EU-Assoziationsabkommen beizutreten, dessen Ablehnung löste dann die „Revolution der Würde“ aus, die letztlich zu West-Orientierung der Ukraine beitrug. Russland reagierte darauf mit der Annektion der Krim und der beiden ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk.
Eine solche Geschichtsbetrachtung wird heute bereits als „Putin-Versteher“ oder als Rechtfertigung der Aggression Russland diffamiert. Doch in einem Krieg ist unsere Waffe die Wahrheit. Und es ist so schwer zwischen der Kriegspropaganda, den reißerischen Meldungen in den Medien und dem Ringen um die Wahrheit zu unterscheiden. Wie in der Corona-Pandemie gehen dabei humane Verhaltensweise verloren und der Krieg findet dann auch in unseren Köpfen statt.
Also lassen wir das. Aber selbst meine Überlegungen, wie ich in einem solchen Konflikt mich verhalten würde, stößt an Grenzen. Natürlich gestehe ich mir ein persönliches Selbstverteidigungsrecht zu, aber dieses Bild verändert sich, wenn der Konflikt zwischen Machtblöcken stattfindet. Wenn das ukrainische Volk zu den Waffen gerufen wird, um sich dem Aggressor entgegenzuwerfen, dann kommen in mir Bilder aus dem zerstörten Syrien in den Kopf. Wenn das der Preis für mein Selbstverteidigungsrecht ist, dann fällt der militärische Aspekt des Widerstandes in sich zusammen.
Sicher haben wir keine Mittel gegen die Gewalt der Waffen und Armeen, außer unsere Menschlichkeit zu erhalten. Desertieren, Verweigern, gewaltfreien Widerstand, Weltenbürger*innentum, Demonstrieren, Schwerter zu Pflugscharen, keine Waffenexporte, keine Waffenproduktion. Wir haben viel zu tun.
Doch die Macht, die aus den Gewehrläufen (den maschinengesteuerten Drohnen, den Panzern, den Kampfjets, den Atomwaffen, usw.) kommt, tut sich keinen Gefallen. Die Weltreiche der Vergangenheit sind eben Vergangenheit. Das wird Russland genauso wie China oder die USA (und die vielen kleinen Diktatoren in dieser Welt) eines Tages bei Strafe des eigenen Untergangs einsehen.
Einen Konflikt zu lösen geht nicht mit Gewalt, sondern nur durch miteinander reden und dabei beide Seiten zu Wort kommen zu lassen und beiden Seiten zuzuhören. Dazu gehört auch Respekt. Und auf keinen Fall das Durchsetzen der eigenen Position. Es muss sich um eine gemeinsam gefundene und von beiden akzeptierte Lösung handeln.
Menschlichkeit, Gewaltfreiheit, Selbstbestimmung und ein engagiertes Eintreten für Freiheit, Gleichheit und Kooperation sind die Fundamente einer friedlichen Welt.
Und wir müssen diese Vision in unseren Herzen halten. Für mich hat das John Lennon bisher am besten beschrieben:

Stell dir vor, es gäbe keine Länder,
es ist nicht schwer, das zu tun.
Nichts, wofür es sich lohnt zu töten oder zu sterben
und auch keine Religion.
Stell dir vor, alle Menschen
leben ihr Leben in Frieden.
Du wirst vielleicht sagen, ich sei ein Träumer,
aber ich bin nicht der Einzige.
Ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns sein,
und die ganze Welt wird eins sein.

Da sind die Friedensdemonstrationen dieser Tage ein Hoffnungsschimmer.
Dieter Koschek
erschienen in jedermensch 702

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