Dezember 13, 2022

Mit Liebe in die gemeinsame Zukunft

Ich schaue optimistisch in die Zukunft. Die schrecklichen Nachrichten Bilder, die wir täglich in den Medien lesen und sehen müssen, sind nicht die Welt, auch wenn sie Realität sind. Zur Zeit heißt es immer, es sind multiple Krisen: Klimawandel, Artensterben, Inflation, Autokratien und Kriege. Und der immense Umfang dieser Krisen lähmt alles.
Selbst die Medien. Wenn ich manchen Tag auf tageschau.de die Überschriften lese, wird mir deutlich, dass bereits die Berichterstattung den Untertitel trägt: „Weiter so!“ Die Rede von Krisen beinhaltet immer auch: wir können nicht anders, unser Weltbild ist in Gefahr, deshalb Krise. Die Medien gehen nicht zur Ursache hin und versuchen schon gar nicht, an den Ursachen etwas zu ändern. Wir leben in einer Realität, die sich auf den Moment des Jetzt beschränkt.
Doch dieser „Krisenrealität“ steht die Wirklichkeit entgegen. Diese Wirklichkeit besteht aus uns als sozialen, kooperativen und liebevollen Menschen, die mit allem, den anderen Menschen, der Natur, unserem Planeten und dem Kosmos, verbunden sind. Und diese Verbundenheit existiert, sie ist Wirklichkeit und muß nicht erst hergestellt werden.
Das ist einer zunehmenden Zahl Menschen bewusst. Aber auch ich brauchte fast ein ganzen Leben, bis mir diese Selbstverständlichkeit bewusst wurde. Das wird deutlich in der ungeheuren Zahl von Initiativen, die für Umweltschutz, Gerechtigkeit und Frieden eintreten. Und diese Wirklichkeit lebt als Gefühl in einem riesigen Teil der Menschheit, der weltweit friedlich, verantwortungsvoll und nachbarschaftlich miteinander umgeht.
Und doch ist es gerade jetzt unsere Aufgabe diesen Bewusstwerdungsschritt bei uns selbst und vielen Anderen zu fördern.
Mit dem Christus-Impuls, der Liebe, kam vor rund 2000 Jahren etwas Neues in die Welt. Es gab ein ICH und das soziale Miteinander, das von der Liebe bestimmt wurde. Die Geschichte der Kirche zeugt auch heute noch von dem schwierigen Weg, den jeder Mensch gehen muß, um zur Liebe, zur Verbundenheit zu finden.
Wir meinen ja alle zu wissen was Liebe ist. Es gibt die Mutterliebe zum Kind, die Liebe zwischen zwei Menschen, die Tierliebe und die Liebe zum Leben. Dies wird in allen Filmen wiederholt und in den Medien weit verbreitet. Doch sind wir überhaupt in der Lage, außer dem geahnten Wissen, Liebe zu erkennen, geschweige denn zu leben?
Ich beobachte, dass diese Alltags-Liebe meist exklusiv verstanden wird. Sie gilt also ganz wenigen Menschen oder Subjekten, alle anderen sind nicht damit gemeint. Es war für mich eine große Entdeckung, als ich bei Hildegard Kurt zum ersten Mal von inklusiver Liebe las, also eine Liebe, die nichts und niemanden ausschloss, sondern im Gegenteil alle und alles mit einschloss. Diese inklusive Liebe erinnerte mich stark an das, was ich unter Christus-Impuls zu verstehen glaube.
Das ist etwas ganz anderes als Verliebtsein, als eine romantische Liebe, als die Liebe, die wir mit der Muttermilch verabreicht bekommen haben.
Was bedeutet nun die zärtliche, begehrliche Zuwendung und Fürsorge für eine/n Partner/in? Wie erwähnt ist diese Art exklusiv. Dazu kommt, dass ich diese Art von Liebe gelernt habe, von Mama und Papa. Und dabei waren ganz andere Motive und Phänomene grundlegend, als das, was inklusive Liebe meint.
Ich lernte sofort, mit der Angst des Verlustes zu leben, des Verlustes des Partners oder des geliebten Subjektes oder mindestens mit dem Verlust des Geliebtwerdens zu leben. Diese Angst macht es notwendig, mein Liebessubjekt hochzustilisieren, mein Verhalten diesem anzupassen und mein eigenes Ich dem Gefühl des Liebens und Geliebtwerdens unterzuordnen. Dieses Verhalten lernen wir seit unserer Kindheit täglich. So entsteht unser falsches Bild von Liebe.
In ihrem Buch „Alles über Liebe“ zählt bell hooks auf, was ihrer Meinung nach zu einer Liebe zwischen Partnern gehört: „Fürsorge, Zuneigung, Anerkennung, Respekt, Hingabe und Vertrauen sowie eine ehrliche und offene Kommunikation“.
Eine erweiterte Art, Liebe zu definieren finden wir bei Scott Peck, einem amerikanischen Psychiater und Gemeinschaftsentwickler, in seinem Buch „Der wunderbare Weg“. Er definiert Liebe als den „Willen, das eigene Selbst auszudehnen, um das eigene spirituelle Wachstum oder das eines anderen Menschen zu nähren.“… „Liebe ist das, was Liebe tut. Liebe ist ein Willensakt, nämlich sowohl eine Absicht als auch eine Handlung. Wollen beinhaltet eine Wahl. Wir müssen nicht lieben, Wir entscheiden uns zu lieben.“
Dieses „eigene spirituelle Wachstum oder das eines anderen“ finden wir auch bei Rainer Maria Rilke. Hildgard Kurt zitiert ihn folgendermaßen: „Lieben … ein erhabener Anlass für den Einzelnen, zu reifen, in sich etwas zu werden, Welt zu werden, Welt zu werden für sich um eines anderen willen, es ist ein großer, unbescheidener Anspruch an ihn, etwas, was ihn auserwählt und zu Weitem beruft.“ Erst in diesem Sinne, „als Aufgabe, an sich zu arbeiten (‘zu horchen und zu hämmern Tag und Nacht’)“, könne die Liebe ihre ganze Kraft entfalten. (Hildegard Kurt, Wachsen! Über das Geistige in der Nachhaltigkeit; 2010)
Für mich selber erscheint es wichtig, diesen Unterschied zu erkennen. Damit mache ich mich frei, erlebe ich Freiheit, mich entscheiden zu können, wie ich leben und lieben will. Es ist erforderlich, dass ich erkenne, wo ich erlernten Bildern folge und somit das Alte wiederhole. Und nicht in der Lage bin, das Neue zu sehen.
Dazu kann vieles helfen. Mir hat geholfen, dass ich schon früh die Sehnsucht nach Gemeinschaft erfahren habe und lange Zeit in der Gemeinschaft des Eulenspiegels gelebt habe. Aber auch das gemeinsame Gestalten meiner Umwelt von der Jugendzentrumsbewegung bis hin zur Anti-AkW-Bewegung, habe ich als hilfreich erlebt. Obwohl ich die Gemeinschaft gesucht habe, passierte das Wesentliche in mir selbst. Durch mein unkonventionelles Verhalten legte ich die alten Bilder und Strukturen langsam ab und entwickelte ganz eigene Sichtweisen auf die Welt. Ich ermöglichte mir so langsam die Fähigkeit Perspektivwechsel wahr- und vorzunehmen. Mit der Zeit entwickelte ich dabei mich von oppositionellem Denken hin zu ganzheitlichem Denken und konnte somit auch die Position oder das Denken anderer wahrnehmen und in meine Welt ein zu beziehen. Dadurch erweiterte sich langsam mein Horizont. Das verläuft weder geradlinig noch konfliktfrei, auch nicht ohne Verwirrungen und Umkehrungen. Ich lernte allmählich im Alltagsgeschehen meinen Anteil zu erkennen – und diesen nicht überzubewerten.
Jede und jeder kann dies erleben und lernen. Der Auslöser war bei bell hooks der Feminismus, bei mir die Studentenbewegung 1968, bei anderen kann es die Sehnsucht nach Verbundenheit, nach einem spirituellen Leben, Selbstbestimmung oder Selbstverwirklichung sein. Wichtig ist dabei nicht zu erlahmen, sondern diesen Bewußtwerdungsprozess das ganze Leben lang wachzuhalten. Das ist nicht einfach.
Dieter Koschek
erschienen in jedermensch 705

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