März 12, 2021

Die Zukunft gestalten

Zu Beginn des zweiten Lockdowns in Österreich (Winter 2020), stellte sich Corona wieder in den Mittelpunkt. Die letzten Wochen und Monate waren von meiner Auseinandersetzung mit dem Virus, den Ängsten und den Hoffnungen geprägt, aber auch mit der Frage, was ist Wesentlich in dieser Zeit? Für mich persönlich ist es mich nicht auf die Panikmache einzulassen, sondern meine inneren Immunkräfte zu stärken. So pflege ich Gedanken zu meiner inneren Stärke, keine Angst zu haben (weder vor dem Virus, noch vor den Maßnahmen dagegen) und immer wieder den Blick auf das Positive zu lenken. Ich habe mich entschieden, mich nicht auf die Diskussion über die medizinischen Fragen des Virus oder dessen Herkunft, einzulassen, sondern den Blick auf die aktuellen politischen Fragen unserer Zeit zu konzentrieren. Das ist sicherlich eine für mich positive Folge der „Corona-Rebellen“.

So ist es erfreulich, dass sich die Zivilgesellschaft auf ihre Ziele und Stärken beruft und weiterhin für Freiheit, Gerechtigkeit, Ökologie und ein soziales Miteinander sich einsetzt.

Es ist zwar richtig, dass ein wichtiger Grund für Demokratiegefährdung, Populismus und Nationalismus die global zunehmende soziale Ungleichheit ist. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung (70 Millionen Menschen) verfügt über so viel Vermögen wie der ganze Rest (sieben Milliarden Menschen) zusammen. 62 Menschen verfügen über ebenso viel Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – also 3,5 Milliarden Menschen. Die Gier der Oligarchen in Ost und West, Großkonzerne, die im Gegensatz zu unserem Mittelstand bei uns fast keine und in armen Ländern gar keine Steuern zahlen und die dadurch verursachte Armut vieler Menschen sind zentrale Ursachen der Demokratiegefährdung.

Doch zeigt sich bei genauem Hinsehen, dass es eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung für mehr Gerechtigkeit gibt. Ein Beispiel gegen die Finanzmacht von Blackrock und anderen finden wir in diesem Heft.

Auch Initiativen im Blick auf die Finanzierung der Maßnahmen betreffend, bzw. zur Abmilderung der Folgen gibt es. So fordert Gerald Häfner einen Geldgipfel.

„Die großen und schweren Fragen, die nach der Pandemie zu klären sein werden, beginnen schon mit dem Problem der Schulden. Die Folgekosten der Pandemie werden täglich unkalkulierbarer. Nur ein Beispiel: 1,2 Billionen Euro beträgt bislang (Stand: Mitte Mai 2020) alleine das von der deutschen Regierung aufgelegte Hilfsprogramm für die deutsche Wirtschaft. Hinzu kommen weitere Ausgaben für europäische und bilaterale Hilfen. Es ist das größte Hilfsprogramm der deutschen Geschichte. Das reißt tiefe Löcher in ohnehin schon leere Kassen. Hinzu kommt eine Verringerung des Steueraufkommens alleine im Jahr 2020 um voraussichtlich weitere 100 Milliarden Euro.“

„Wie wäre es, wenn die Regierungen, anstatt z. B. zu einem weiteren „Autogipfel“ mit dem fragwürdigen Ziel der Rettung einer in der Vergangenheit verhafteten Industrie einzuladen, nun erstmals breit zu einem offiziellen „Geldgipfel“ einlüden – mit dem Ziel, das Geldwesen umfassend im Sinne von mehr Nachhaltigkeit, Angemessenheit, Solidarität und Freiheit zu reformieren?“

Ein Beispiel der Zivilgesellschaft für eine Geldreform ist die Initiative des Omnibus für direkte Demokratie für ein ökologisches und demokratisches Geldwesen.

Im Lockdown im Frühjahr wurde deutlich, dass unser Gesundheitswesen nicht auf eine Pandemie eingerichtet ist. So schreitet die Privatisierung eines Grundrechtes der Menschheit auf ausreichende Gesundheitsversorgung voran. Private Krankenhäuser, die nach Fallzahlen abrechnen fördern das Geschäft mit Krankheit, aber nicht die flächendeckende Gesundheitsvorsorge, schon gar nicht ein natürliches Heilwesen. Gerade hier sind es Naturmediziner, die mit natürlichen Heilmitteln, gegen das Virus und die Folgen erfolgreich arbeiten. Und es gibt Initiativen, die für ein solidarisches Gesundheitsystem arbeiten, wie z.B. das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“.

Auch wenn die Pfleger*innen zu den Heldinnen des Alltags gezählt werden, nutzt der Applaus wenig. Da ist der Tarifstreit von Ver.di sicherlich nützlicher. Am 1. April nächsten Jahres steigen die Entgelte um 1,4 Prozent, wenigstens aber um 50 Euro. Ein Jahr später gibt es ein weiteres Plus von 1,8 Prozent. Azubis erhalten jeweils 25 Euro mehr und eine Übernahmegarantie. Noch in diesem Jahr erhalten die 2,3 Millionen Arbeiter und Angestellten sowie gut 200.000 Beamte zusätzlich eine Coronaprämie. Es gibt 600 Euro für Berufsgruppen mit einem Bruttolohn von bis zu 3.470 Euro, 400 Euro bis zu einem Einkommen von 5.800 Euro und 300 Euro für höher eingruppierte Beschäftigte. Auszubildende erhalten 225 Euro bei den Kommunen und 200 Euro beim Bund. Die Tarifrunde wurde neben der normalen Lohnrunde von einigen besonderen Themen bestimmt. Dabei ging es insbesondere um Verbesserungen für das Pflegepersonal in Heimen und Krankenhäusern. Es wird nun über drei Zulagen deutlich besser gestellt. Ab kommenden März wird eine Pflegezulage von 70 Euro gezahlt. Für Pflegerinnen und Pfleger in der Intensivmedizin wird die Zulage auf 100 Euro mehr als verdoppelt. Die Pflegezulage in Altenheimen oder anderen Betreuungseinrichtungen steigt um 25 Euro und damit auf den Stand der Zulage in Krankenhäusern. Auch die Ärzte in den Gesundheitsämtern werden aufgewertet. Ihre Zulage beträgt 300 Euro.

In Prozenten ausgedrückt ist dieser Zuwachs in der Pflege beachtlich. Er bedeutet 8,7 Prozent mehr in der normalen Pflege und 10 Prozent in der Intensivpflege. Eine Pflegerin mit einem Bruttolohn von 3.540 Euro in der Entgeltgruppe 6 verdient am Ende der Laufzeit 300 Euro mehr, ein Beschäftigter der Müllabfuhr mit einem Monatseinkommen von 2.823 Euro erhält gut 100 Euro mehr. (taz 26.10.20)

Aber ob ein guter Tarifvertragsabschluss die Misere der Pflege beheben kann, sei dahingestellt. Ein wichtiger Schritt mit einer starken gewerkschaftlichen Vertretung ist es alleweil.

Auch ich habe mich über den stark reduzierten Auto- und Flugverkehr gefreut, doch wenn die Ursache eine Pandemie ist, dann ist das nur eine vorübergehende Minderung. Es fehlen nach wie vor hier eine vorausschauende Planung für die Verkehrswende. Umfragen zufolge befürworten angeblich über 40 % der Pandemie-bedingten Heimarbeiter*innen die Beibehaltung ihrer jetzigen Homeoffice-Arbeitsplätze auch nach Corona. Bei näherer Nachfrage stellt sich allerdings heraus, dass diesen Befragten durch die Tätigkeit zuhause über 1,5 Stunden täglicher Arbeitsweg und mehr erspart bleiben. Ihnen wäre also folglich ebenso mit Reduzierung der täglichen Arbeitszeit gedient, wie mit wohnortnahen und kinderfreundlichen und sozialförderlichen Arbeitsstellen.

Eine menschenfreundliche Raum- und Stadtplanung steht noch in den Anfängen. Das Beispiel dafür sind die Pop-Up-Radwege, die im Lockdown in den Städten entstanden sind.

„Meist nicht beachtet sind die rund 100 Initiativen für eine Bahnreaktivierung, so Kerstin Haarmann, Vorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Das ist eine richtige Graswurzelbewegung“, berichtet sie. „Ehrenamtliche vor Ort machen Druck, damit sich etwas bewegt.“ So veranstaltet der VCD, der sich seit Jahrzehnten für eine Mobilitätswende einsetzt, seit 2014 jährliche Netzwerktreffen, auf denen sich Aktive aus den Gruppen austauschen. Die meisten Initiativen gibt es mit knapp 30 in Bayern, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sind es jeweils etwa 20. Seit zwei Jahren beobachtet Haarmann, dass sich zunehmend Landkreise und Gemeinden mit der Wiederbelebung von Bahnverbindungen beschäftigen. Denn Kommunen sehen darin eine Möglichkeit, als Stand- und Wohnort attraktiver zu werden und etwas für den Klimaschutz zu tun. (taz 27.10.20) Und an der Ostphalis Hochschule mit vier Standorten um Wolfsburg herum gibt es die erste Deutsche Professur für Radverkehr. Sechs weitere werden in kürze folgen. An der Uni Kassel z.B. geht es um Verkehrssicherheit, Radverkehr im ländlichen Raum und die Planung von Anlagen im Rad- und Fußverkehr. (taz 28.10.20)

So wie es Gerald Häfner für den Umgang mit der Pandemie fordert, ist eine aktive und breite Zivilgesellschaft auch für alle angeführten Gebiete nötig.
„Dafür braucht es neue Formen von Demokratie. Je vielfältiger die Meinungen und Perspektiven sind, die in politische Entscheidungen einfließen, desto besser sind am Ende auch die Entscheidungen selbst. Gerade jetzt, als Konsequenz aus den widersprüchlichen Erfahrungen in der Corona-Pandemie, geht es darum, neue Formen der Beteiligung und Entscheidung zu schaffen. Es müssen alle wichtigen Stimmen einfließen können. Bei den Entscheidungen zur Reaktion auf eine Pandemie stellen sich ja bei weitem nicht nur medizinische Fragen. Die Mitwirkung der Sozialwissenschaften, der Ethik, der Ökonomie, der Rechts- und Politikwissenschaft sind zum Beispiel ebenso unverzichtbar. Sie sollten in den entsprechenden Beratungsgremien der Regierungen angemessen vertreten sein. Noch wichtiger aber ist es, nicht nur Experten, sondern die Betroffenen und die Bürger selbst einzubeziehen. Eine Möglichkeit dazu wäre, auf den verschiedenen Ebenen Runde Tische zu etablieren, an denen sich die verschiedenen Sichtweisen treffen und zu einem Ausgleich gelangen. Eine andere wären repräsentativ zu besetzende Bürgerräte. Auf allen Ebenen, im Stadtviertel bzw. der Gemeinde, auf Stadt-, Landkreis-, Regions- und Länderebene, können während dieser schwierigen Zeit solche partizipativen Beteiligungsgremien geschaffen werden. Die Folge wäre eine wesentlich bürgernähere Politik. Ich bin mir sicher: Sobald die Menschen selbst miteinander zu sprechen anfangen, wie sie in ihren Vierteln das Leben mit den Kindern oder die Versorgung von Älteren, Einsamen und Risikogruppen organisieren wollen, entstehen weitaus lebenspraktischere und wirklichkeitstauglichere Vorschläge, als wenn dies weit weg in einer Behörde geschieht.“ (Auszüge aus einem längeren Beitrag von Gerald Häfner in Sozialimpulse 2/20)

Dafür braucht es Begegnungen. Und die gibt es. So freue ich mich über die Entschlossenheit vieler sozialer Bewegungen für die Mitgestaltung unserer Gesellschaft. Klar ist, dass wir nicht einfach mal die Welt retten können, aber jede Initiative, jedes Engagement bringt uns einen Schritt weiter. Es liegt somit in der Verantwortung des einzelnen Menschen, wie er dazu beitragen kann

Dieter Koschek
Zuerst veröffentlicht im jedermensch, Nr. 697, Winter 2020, www.jedermensch.net

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